Zugegeben: Manchmal ist auch Pech im Spiel. Doch die Mehrzahl falscher Managemententscheidungen falle nicht aus Unwissenheit oder fehlender Intelligenz, beschreibt die erfolgreiche Managerin und Investorin Ana-Cristina Grohnert ihre Erfahrung. "Sondern aus sehr persönlichen Motiven. Es geht um Macht, und es geht um Selbstbestätigung“, schreibt sie in ihrem Buch “Das verborgene Kapital”.
In viel zu vielen Unternehmen wird eben dieses Kapital - das Engagement, das Wissen, die Fähigkeiten der Angestellten - nicht gehoben, zum langfristigen Nachteil der Firma. Die entscheidende Ursache liegt dabei praktisch immer im Unternehmen selbst: im Verhalten der Führungskräfte. “Führungskräfte müssen sich um zwei Dinge im Unternehmen kümmern - die Ergebnisse und die Menschen. Das Verzwickte ist, beides gleichzeitig richtig hinzubekommen”, bringt der US-amerikanische Managementexperte Kip Knight seine eigenen Erfahrungen in zahlreichen großen und kleinen Konzernen rund um den Globus auf den Punkt.
Anders gesagt: Eine Führungskraft im Unternehmen muss natürlich Verantwortung übernehmen für Umsatz, Gewinn, Image, Markenkern, Ethos, also die betriebswirtschaftlichen Ergebnisse im weitesten Sinne. Genauso wichtig aber ist die Verantwortung für die Mitarbeiter, ihr Wohlbefinden, ihre Weiterentwicklungsmöglichkeiten im Unternehmen.
Ist es die Sorge - gar die Angst? - dieser Aufgabe nicht gerecht zu werden, die bei so vielen Managern dazu führt, den Inhalt von Führung mit dessen Äußerlichkeiten zu verwechseln? Wer das Selbstverständnis seiner Führungsrolle daraus zieht, dass er einen schnellen Dienstwagen fährt, zahlreiche Angestellte unter sich hat oder ein hohes Gehalt verdient, der verkennt, um was es bei der Aufgabe tatsächlich geht. Auch das Eckbüro mit den großen Fenstern ist ein schwacher Indikator.
Gleichzeitig staune ich immer wieder, mit welcher Art des „Miteinanders“ Führungskräfte glauben, ihre Teams erfolgreich zu führen. “Führungsstil” wird das gerne genannt. Er wird fast immer als zupackend beschrieben, stets eine Antwort parat zu haben, selbstsicher und durchsetzungsstark zu sein. Diese Qualitäten, mit ihrer Portion militärischer Nostalgie, gelten als entscheidende Qualitäten einer Führungskraft. Werte wie Reflexion, Diskurs, Abwägen, bevor eine Entscheidung getroffen wird, Zuhören - das spielt oft nicht einmal eine Nebenrolle, ist etwas für Schwächlinge, das keiner wirklich braucht für den Erfolg.
Diese Sichtweise führt nicht nur dazu, dass viele Mitarbeiter innerlich längst gekündigt haben, nicht mehr mit Herzblut und vollem Engagement für das Unternehmen da sind. Das fehlende, umfassende Verantwortungsgefühl führt auch dazu, dass viel zu viele Führungskräfte sich nicht für schlechte Umsätze, schwindende Erträge und sinkende Aktienkurse verantwortlich fühlen. Die Schuld wird allzu oft bei den “Anderen” gesucht, bei den Wettbewerbern, dem Markt, den Chinesen, den Gewerkschaften (je nach Position auch den Vorständen).
Ein Kern des Führungsgedankens scheint in unserer Wirtschaft verloren gegangen zu sein: Mut. Dabei geht es nicht um den Mut im fundamentalsten Sinne, einen 8000er zu besteigen oder einen Ozean zu durchrudern. Sondern vielmehr den Mut, sämtliche Konsequenzen der Verantwortung zu tragen, den Mut, fehlbar zu sein. Den Mut zur Demut.
An vorderer Stelle steht dabei, auf ein mögliches Scheitern vorbereitet zu sein. Eine wahre Führungskraft trifft mutig Entscheidungen und steht zu den Konsequenzen, sollten sie sich als falsch erweisen. Selbstverständlich stellt sie sich dann auch vor die Mitarbeiter und hält ihnen den Rücken frei. Eine Führungspersönlichkeit schreckt auch nicht zurück vor unpopulären Schritten, wenn diese nötig werden, selbst auf die Gefahr hin, im eigenen Haus unbeliebt und isoliert zu werden.
Der Mut, die Grenzen des eigenen Handelns anzunehmen, gehört dazu. Zu akzeptieren, wenn die Argumente von anderen besser sind. Das eigene Ego hinter die Ziele des Unternehmens zu stellen.
Oder noch deutlicher mit Alfred Herrhausen gesagt: „Entscheidend ist nicht die Frage, ob man Macht hat, entscheidend ist die Frage, wie man mit ihr umgeht.“